Wo was wächst
Landwirtschaft in Argentinien ganz ohne glyphosathaltige Pflanzenvernichtungsmittel.
„Das ist alles, was ich euch zeigen kann.“
Wir stehen mitten im Urwald, umringt von mannshohen Farnblättern. Alles ist grün und wuchert und wächst und ist miteinander verbunden.
Erik Barney ist Landwirt in Argentinien und stellt ökologisch Mate-Tee her, für den er Yerba-Mate Bäume auf seinem Grundstück „Anna Park“ in der Provinz Misiones im Nordosten Argentiniens anbaut und weiterverarbeitet. Sein Vater kam 1926 aus Schweden nach Südamerika. Er selbst lebte für einige Zeit in Schweden und hat in den USA studiert. Dass auf seinem Grundstück noch unberührter Urwald wächst ist seinem Vater zu verdanken – und dem Umstand, dass dieser einer der ersten war, die auswanderten und sich somit noch ein Grundstück aussuchen durfte.
Ein Auswanderer bakam damals eine 25 Hektar große Parzelle, unter der Auflage, dieses Grundstück aufzubereiten und zu bewirtschaften. So konnte ein in der Regel mittelloser Auswanderer sein Land abbezahlen und sich eine neue Existenz aufbauen. Viele von ihnen – so auch Eriks Vater – begannen mit dem Anbau von Yerba-Mate Bäumen, da diese hier heimisch sind und schon von den Ureinwohnern genutzt wurden. Heute ist der Mate-Tee das hiesige Lokalgetränk. Ein Agentinier hat stets eine Thermoskanne mit heißem Wasser und eine Kalabasse (einen ausgehöhlten Kürbis, der als Tasse dient) dabei – die Kalabasse wird gefüllt mit Yerba, den fertig verarbeiteten Yerba-Mate Blättern, welche immer wieder mit heißem Wasser übergossen wird. Die fertig verarbeiteten Yerba-Mate Blätter wurden getrocknet und sehen aus wie fein gehackte Teeblätter; inkl. Stiele. Man trinkt aus einem metallischem Trinkhalm, der am unteren Ende so gearbeitet ist, dass keine Yerba in den Mund gelangt.
Eriks Eltern liebten schon damals das tiefe Grün des Urwaldes und ließen einen großen Teil auf ihrem Grundstück „Anna Park“ stehen. Es liegt erhöht auf einem Hügel bei Oberá, einem Städchen im südlichen Teil der kleinen Provinz. In Misiones stehen die letzen dichten Wälder Argentiniens.
Urwald in Argentinien
Der Urwald ist ein Ökosystem, das es zu schützen gilt. Das hat mittlerweile jeder begriffen. Aus welchem Grund er geschützt werden soll, ist nicht jedem klar – vielleicht ist in diesem Wald ein Kraut gegen bisher unheilbare Krankheiten gewachsen? Er bietet Lebensraum für Insekten, ist Nahrungsquelle für viele Vögel, gilt als Lebensgrundlage für den Menschen weil er die grüne Lunge der Erde darstellt.
Dass sein Boden unheimlich empfindlich und sensibel ist glaubt kaum einer. So wie die Pflanzen und Bäume hier wuchern sieht es auch kaum danach aus. Aber seine Humusschicht ist besonders dünn und besteht hauptsächlich aus herabgefallenem Laub, das unter tropischen Bedingungen fast vollständig verrottet und so nicht zu nährstoffreicher Erde werden kann. Schon wenn die Bäume gefällt und die Sträucher entfernt werden um den Boden für die Landwirtschaft zu nutzen, wird dieser nachhaltig geschädigt. Ihm fehlt jetzt das Wurzelewerk um bei Regen nicht vollständig weggeschwemmt zu werden, außerdem wichtige Schattenspender für neue Pflanzen und zu guter Letzt das Laub mit all seinen wichtigen Mineralien. Behandelt man diesen Boden nun auch noch mit glyphosathaltigen Mitteln wächst hier so schnell garnichts mehr. Und nicht nur das: die Wiederbefruchtung eines einmal zerstörten Bodens bedarf viel Mühe, Arbeit und Zeit.
Das Paar Javiera Rulli und Reto Sonderegger hat sich diese Zeit genommen. Sie kauften ein Grundstück, das zuvor als Landwirtschaftsfläche genutzt wurde und eignen sich viel Wissen an, um diesen Boden wieder fruchtbar zu machen. Nach 4 Jahren harter Arbeit können auf ihrer Farm „La Lechuza“ erste Ernteerträge eingefahren werden – es wachsen Bananen neben Maniok, Kürbis neben Obstbäumen; alles ökologisch. Der Boden hat sich erholt und das Grünzeug würde jetzt ohne Einhalt wieder fröhlich wuchern. Wichtig hierfür war die Bearbeitung des Bodens unter anderem mit Steinkreide und Laub. Außerdem ist die Begrünung entgegen jeder Monokulter äußerst wichtig für eine natürliche Rückgewinnung eines festen Wurzelwerks in der dünnen Humusschicht.
Nur der Nachbar macht es anders. Wenn er sein glyphosathaltiges Pflanzenvernichtungsmittel ausfährt, hoffen die Beiden auf gute Windbedingungen, damit nichts davon auf ihre Feldern weht.
La Lechuza
Die Farm „La Lechuza“ hat aber nicht nur Obst und Gemüse, auch Schweine, Hühner, Hasen und Rinder leben dort – Javiera ist Argentinierin, war aber lange Zeit Vegetarierin und Reto ist als Schweizer ebenfalls gewöhnt, sich nicht nur von Fleisch zu ernähren, wie das in Argentinien üblich ist. Für das Paar ist es besonders wichtig, die drei gemeinsamen Kinder gesund und ausgewogen zu ernähren. Und das geht in Argentinien am Besten, wenn man selbst dafür sorgt, dass das Essen auf dem Tisch gesund und frei von Chemiekalien ist. Und wenn der Wind dann doch schlecht steht, kann man den Nachbar auch bitten, seine glyphosathaltigen Mittel an einem anderen Tag auszufahren.
Glaphosat wird derzeit stark diskutiert. Die EU hat es erst vor Kurzem bei uns für weitere vier Jahre freigegeben, obwohl es in Verdacht steht, Krebs zu erregen. Weitere Tests hierzu stehen noch aus. Bei Glyphosat handelt es sich um eine chemische Verbindung, die das Absterben von Pflanzen verursacht bzw. deren Wachstum und Photosynthese verhindert. Alleine würde es von einer Pflanze jedoch nicht aufgenommen werden, da es kaum wasserlöslich ist – hierzu wird es mit Beistoffen vermengt, die dafür sorgen, dass es von den behandelten Pflanzen nicht einfach abperlt. Das bekannteste dieser glyphosathaltigen Mittel ist „RoundUp“ von Monsanto, für das es „RoundUp Ready“ Pflanzen gibt, die gentechnisch so verändert worden sind, dass sie nicht auf das Mittel reagieren. Seit einigen Jahren ist das Patent hierfür abgelaufen und der Markt für viele weitere Chemiekonzerne offen.
Ob Glyphosat allein krebserregend wirkt bzw. für uns schädlich ist, konnte noch nicht bestätigt werden. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass nicht der Wirkstoff Glyphosat, sondern viel mehr die Beistoffe eine toxigene Wirkung haben und für Mensch und Tier gesundheitsschlädlich sind.
Glyphosat
Was ein solches Mittel im Vergleich zu einem ökologisch geführten Betrieb anrichtet, ist auf den Feldern von Enrique Heinzmann (Quique) zu sehen, dessen Nachbar nicht gerade sparsam damit umgeht. Am deutlichsten sieht man das auf Bildern von Oben: zwischen den Yerba-Mate Bäumchen wächst kein Grashalm mehr, während auf Quiques Feldern alles grünt. Er muss dafür halt regelmäßig mit der Heckenschere nachhelfen.
Quiques Vater floh in der Nachkriegszeit aus Deutschland – wie viele Nazis damals. Die politischen Ansichten seines Vaters hat er selbst nie geteilt. Als es zu seinen Studentenzeiten in Südamerika kritisch wurde – Quique wurde zweimal auf der Straße verhaftet – reiste er nach Deutschland und lebte für einige Jahre in Hamburg. Als er wieder zurück kam, siedelte er sich in Misiones an, und begann mit dem Anbau von Tee und Yerba Mate.
Sein Mate Tee „Quiquemann“ wird seit Beginn ökologisch angebaut. Der Unterschied im späteren Getränk bildet sich hauptsächlich in der weiteren Verarbeitung – selbstverständlich hat hier jeder sein spezielles Verfahren, das später zum besten Ergebnis führt, erklärt er, mit dem „Besten aller Mate“ Tees in der Hand und mit einem Schmunzeln im Gesicht. Der Aufwand, den er betreibt um ökologisch anzubauen, hat also kaum Auswirkungen auf das spätere Produkt. Auch kann man dem Argentinier einen nachhaltig erzeugten „Bio“ Mate nicht viel teurer verkaufen, als den normalen.
Aber die Argentinier beginnen umzudenken. In einem Land wie Argentinien tritt ein solches Umdenken später und viel langsamer ein, als bei uns – hier herrscht hohe Korruption, weniger hohe Bildungsstandards und viele andere Probleme, die deutlich akuter erscheinen als die Gesundheit des Einzelnen und deren langfristiger Erhalt. Ganz zu Schweigen der Schutz der Umwelt.
Die immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen des Landes sind nur einer von vielen Gründen. Auch ist ein Vertrauen in den Staat und ebenso in Institute oder Firmen, die möglicherweise in irgendeiner Form vom Staat unterstützt – und somit gezahlt und kontrolliert werden – eigentlich nicht vorhanden. Korruption ist allgegenwärtig.
Gesundheitsorganisationen und Institute, die den Bürgern ein Bewusstsein dafür vermitteln wollen, sich gesünder zu ernähren, werden kaum gehört.
Büffelfarm
Auf der Büffelfarm „El Hormiguero“ hat der Belgier und Farmer Edvard Vandevivere ein neues Geschäftskonzept erstellt: Argentinier aus dem Umkreis von Ruiz de Montoya, wo die Büffelfarm liegt, bezahlen erst und erhalten dann wöchentlich eine Auswahl an Gemüse aus seinem ökologischen Anbau. Es läuft gut, bereits 11 Familien beziehen ihren wöchentlichen Bedarf bei ihm. Jeder von ihnen war mindestens einmal auf seinem Feld zu Besuch, um zu sehen, wie viel Arbeit darin steckt und zu verstehen, mit welchen Tücken Edward zu kämpfen hat. Dieser Besuch ist Pflicht und vertraglich festgelegt. Für den weitern Geschäftsverlauf gibt Edward zuvor eine Prognose der zu erwartenden Ernte ab und muss diese – so weit möglich – dann auch einhalten. Aber die Leute sollen ihre Ernte später auch zu schätzen wissen. Sie bekommen nicht nur eine Kiste voll mit sonderbaren Gewächsen, auch einige Rezeptvorschläge werden beigelegt.
Aber dennoch ist der Durchschnittsbürger in Argentinien wenig an ökologischer Landwirtschaft interessiert. Produkte für den Export werden grundsätzlich – auch bei uns – mit Glyphosat behandelt. Die Richtlinien hierfür sind aber nicht unbedingt die selben, wie in Europa. Mal ganz abgesehen davon, dass sich der argentinische Landwirt im Normalfall nicht daran hält. Sollte kontrolliert werden, löst der Geldschein das ein oder andere Problem.
Und der Agentinier weiß das auch.
Warum also mehr Geld für Produkte ausgeben, wenn ich nicht sicher sein kann, ob sie denn auch wirklich besser sind?
Es scheint auf jeden Fall so, als wäre der Großteil der ökologischen Bewegung in Argentinien duch neu eingewanderte Europäer geprägt und vorangetrieben.
Die Schweizerin Mariana Mampaey führt die biodynamische Büffelfarm „El Hormiguero“ und lässt derzeit auf ihrem Grundstück ein neues Ambulatorium errichten, in dem die Ärztin auch während ihrer Pensionierung praktizieren will. Die Bewohner von Ruiz de Montoya kommen zu ihr, um sich in diesem Ärztehaus behandeln und beraten zu lassen. Aber auch Forschungen sind hier geplant. Im Mittelpunkt: erweiternde Medizin auf Basis der Schulmedizin. Mariana und ihre Mitarbeiter stellen vorallem Tinkturen her, die aus einheimischen Pflanzen bestehen. Vielleicht findet sich das Kraut gegen unheilbare Krankheiten hier in den Wäldern um ihre Farm „El Hormiguero“?
Finden lässt es sich in jedem Fall nur, wenn die Wälder gesund und ungestört wachsen können.
Bilder und Reisebericht findet man in meinem Beitrag let´s dance Tango